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Silber als Investment stirbt den schleichenden Tod

Silber gehört zu den schlechtesten Investments 2014. Der Preis fällt auf ein Vier-Jahres-Tief. Doch Freunde des Weißmetalls schöpfen Mut. Ihre Hoffnung stützt sich auf eine geheimnisvolle Formel.

Silber ist ein robustes Material. Erst bei sehr hohen Temperaturen – es sind exakt 961,8 Grad Celsius – beginnt das Edelmetall zu schmelzen. Doch an den Kapitalmärkten gelten andere Regeln: Als Investment erlebt Silber derzeit eine große Schmelze.

Das vor allem bei deutschen Privatanlegern beliebte Krisenmetall verzeichnet seit Sommer eine katastrophale Wertentwicklung. Diese Woche ist der Preis bis auf 17,35 Dollar je Feinunze abgesackt und damit auf den niedrigsten Stand seit 2010. In unserer Währung kostete eine Unze zuletzt weniger als 14 Euro.

Gründe für den Abstieg des Silbers gibt es verdächtig viele. Dreh- und Angelpunkt ist aber letztlich die Politik der US-Notenbank mitsamt Rückwirkungen auf die Kapitalmärkte. "Die Federal Reserve hat bekräftigt, dass sie ab 2015 die Zinswende einleiten wird, und das hat gravierende Auswirkungen auf Devisen und Rohstoffe", sagt Jens Klatt, Stratege beim Researchhaus DailyFX.

US-Zinswende nimmt Silber den Glanz

Die Marktteilnehmer rechnen damit, dass der US-Leitzins schon 2017 bei rund 2,5 Prozent stehen könnte, wie die Saxo Bank hervorhebt. Investoren nehmen diese Zinserhöhung vorweg und transferieren Geld in den Dollarraum. Die Wall Street wirkt wie ein Magnet. Denn dort sind die Renditen viel höher als andernorts, in der Eurozone beträgt der Leitzins zum Beispiel nur 0,05 Prozent.

"Die US-Zinsen steigen, und damit verlieren Silber wie auch Gold als zinslose Anlagen an Attraktivität", erklärt Klatt. Per saldo tauschen die Investoren liquide Sachwerte gegen Dollar-Investments mit der Aussicht auf höhere Rendite.

Wie stark diese Bewegung ist, zeigt sich an der Entwicklung des Dollar an den Devisenmärkten: Gegenüber den großen Währungen hat der Greenback zehn Wochen in Folge zugelegt. "Seit der Einführung des Dollar-Futures an der New Yorker Terminbörse ICE hat es das noch nie gegeben", sagt Klatt.

Der Hauptleidtragende ist Silber: In den vergangenen zwei Monaten hat der Preis in Euro gerechnet um zwölf Prozent nachgegeben. In der Handelswährung Dollar fällt der Verlust sogar noch drastischer aus: Hier beträgt das Minus 16 Prozent.

Der schleichende Absturz ist ein weiterer Rückschlag für die vielen Fans des Weißmetalls, die Silber wechselweise als "das bessere Gold", das "Gold des kleinen Mannes" oder "das Metall der Zukunft" preisen.

Edelmetall als Krisenschutz kommt aus der Mode

Schon vergangenes Jahr mussten die Silberanhänger einiges einstecken: Zwischen Januar und Dezember 2013 sackte der Preis um 36 Prozent ab. Damit war die Erwartung dahin, dass der Unzenpreis bald auf 100 Dollar gehen würde.

Diese magische Marke hatte die Silber-Community lange als "fairen Wert" für ihren Darling beschworen. Schließlich war das Metall Jahrhunderte lang als Währung geschätzt gewesen, nicht zuletzt in Deutschland, das erst nach der Reichsgründung 1871 den Goldstandard von England übernommen hatte.

Für einen kurzen Moment sah es im Jahr 2011, auf dem Höhepunkt der Euro-Vertrauenskrise, sogar so aus, als könne der Preis des Weißmetalls in diese Regionen vorstoßen. Damals war Silber als sicherer Hafen gefragt, der Unzenpreis kratzte an der Marke von 50 Dollar. Doch der Beschwörungszauber funktionierte nur so lange, wie die Angst vor einem Kollaps des Bankensystems und der europäischen Währungsunion umging.

Als das Ende des Euro nicht stattfand und klar wurde, dass silberne Notgroschen für den Einkauf beim Bäcker sobald nicht nötig sein würden, bröckelte die Notierung sukzessive ab. "Von seinem Hoch im Jahr 2011 ist Silber mehr als 60 Prozent gefallen. Das Katastrophenszenario von damals ist neuer Sorglosigkeit gewichen", stellt Matthias Steinhauer von Concept Vermögensmanagement fest.

Tatsächlich gerät das Weißmetall mit dem hellen Klang als Krisenschutz langsam aus der Mode. "Im ersten Halbjahr 2014 haben wir mit Silber knapp 25 Prozent weniger umgesetzt als im Vorjahreszeitraum", räumt Robert Hartmann, Geschäftsführer des Edelmetall-Handelshauses Proaurum in München, ein. Die Stimmung für den kleinen Bruder des Goldes habe sich eingetrübt.

Silbernachfrage ist fast zum Erliegen gekommen

Freilich spielt auch ein Sondereffekt eine Rolle: Seit Januar fällt beim Kauf von Silbermünzen zum ersten Mal der hohe Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent an. Zuvor galt der ermäßigte Satz von sieben Prozent. Die Händler gleichen das zwar weitgehend damit aus, dass sie das Differenzbesteuerungsverfahren anwenden, sodass sich für Kunden unter dem Strich kaum ein Unterschied ergibt.

Doch die Nachricht der Steuererhöhung hat Privatanleger verunsichert. "Die Investmentnachfrage nach Silber ist quasi zum Erliegen gekommen", sagt Michael Dutz, Vorstand bei der Adlatus Aktiengesellschaft.

In anderen Staaten ist die Zuneigung der Bürger zum Weißmetall ohnehin nicht ganz so groß. Außerhalb Deutschlands fließt immer auch viel Geld an die Börse. "Auf globaler Ebene sind Aktien derzeit der größte Gegenspieler von Silber und Gold", sagt Hartmann. Während der Silberpreis in den vergangenen zwölf Monaten in Euro gerechnet um 14 Prozent gefallen ist, haben sich Dividendenpapiere gemessen am MSCI World Index um stattliche 20 Prozent verteuert, ganz vorne dabei US-Papiere.

Der jüngste Rücksetzer bei Silber hat allerdings noch einen anderen Ursprung, nämlich Probleme in China. Die Konjunktur der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt kommt mehr und mehr ins Stocken. "Wie ernst die Lage ist, lässt sich daran ablesen, dass die chinesische Notenbank erst vergangene Woche ein 500 Milliarden Yuan umfassendes Anleihenkaufprogramm beschlossen hat, um Liquiditätsengpässe am Kreditmarkt abzuwenden", sagt Klatt. Unter der Unsicherheit habe die Nachfrage nach Gold und Silber im Reich der Mitte gelitten.

China ist weltweit der wichtigste Abnehmer von Rohstoffen, die für industrielle Zwecke genutzt werden. Rund 90 Prozent der jährlichen Silberförderung werden von der Industrie, etwa der Elektrotechnik, verbraucht und nicht etwa gehortet, wie es bei Gold zum überwiegenden Teil der Fall ist.

Silber oft nur Nebenprodukt der Kupferproduktion

Dazu kommt eine weitere Komplikation: Geht die Goldnachfrage zurück, drosseln die Goldminen ihre Produktion. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage gleicht sich aus. Bei Silber ist es nicht so einfach: Da das Weißmetall häufig als Nebenprodukt der Kupfer- oder Zinkgewinnung anfällt, tritt eine Verknappung wenn überhaupt erst später ein.

"Insgesamt erleben wir weltweit eine schwache Rohstoffnachfrage, das betrifft nicht nur, aber eben auch Silber, das bei schleppender Konjunktur weniger gesucht ist", sagt Marc-Oliver Lux, Vermögensverwalter bei Dr. Lux & Präuner. Im Moment seien weltweit eher Aktien en vogue, die von der Liquiditätsschwemme der Notenbanken profitieren. Ist der Preis erst mal ins Rutschen gekommen, geben Spekulanten dem Rohstoff den Rest. Das war schon öfter so. Im Jahr 2008 brach der Preis im Zuge des Lehman-Kollapses von 21 auf neun Dollar ein. Im Folgejahr erholte er sich auf fast wieder 20 Dollar. Solche Schwankungen hält nicht jeder aus.

Viele Großanleger haben ihre Wetten auf fallende Silberpreise dieses Jahr hochgeschraubt. Wenige finanzstarke Investoren können den Silberpreis erheblich beeinflussen, denn Angebot und Nachfrage sind überschaubar. "Der Silbermarkt ist klein und sehr schwankungsanfällig", sagt Lux. Hedgefonds könnten den Preis mit relativ wenig Aufwand in die eine oder andere Richtung treiben.

Aktuell ist die Richtung klar: "Spekulanten verdienen seit Jahren Geld mit dem Silber-Absturz und wetten nach dem Motto 'The trend is your friend' weiter fröhlich auf fallende Preise", erklärt Vermögensprofi Dutz.

Preis könnte unter 15 Dollar pro Feinunze fallen

Erst einmal dürfte es weiter bergab gehen: "Der Preis könnte sogar unter 15 Dollar pro Feinunze fallen, wenn der Dollar weiter aufwertet", schätzt Klatt. Und auch andere Analysten sind kurzfristig wenig zuversichtlich, obwohl die Notierungen bereits unter den durchschnittlichen Produktionskosten vieler Bergwerke liegen.

Indessen ist der Pessimismus für Silber inzwischen so groß, dass erste schon wieder Einstiegschancen sehen. Eine Sache gibt es, die Fans des Weißmetalls hoffen lässt: Im Verhältnis zu Gold ist Silber so billig wie seit vielen Jahren nicht mehr. Nach dem jüngsten Preisrutsch müssen Anleger rund 69 Unzen Silber für eine Unze Gold hinlegen – soviel wie noch nie seit 2010.

Der Durchschnitt seit den Neunzigerjahren liegt bei unter 60, und wer noch weiter in die Vergangenheit zurückgeht, findet eine Gold-Silber-Ratio von 15 bis 16. Soll heißen: Im Verhältnis zu seinem großen Bruder ist das weiße Metall zu billig, der Preis müsste viel höher stehen. Das wird jedoch wohl erst passieren, wenn sich die globalen Inflations- und Konjunkturerwartungen bessern. Denn Silber reagiert empfindlicher auf den Zustand der Weltwirtschaft als Gold.

Manche Vermögensprofis sind gar nicht gut auf das Weißmetall zu sprechen und ereifern sich über die tagein tagaus hervorgekramte Story vom Gold des kleinen Mannes. Das habe den kleinen Mann, also den unbedarften Sparer, in Wahrheit eine Menge Lehrgeld gekostet, schimpfen sie. Allerdings möchten sie sich damit oft nicht namentlich zitieren lassen – aus Furcht vor dem Zorn der Edelmetall-Fans.

"Die Spekulationsblase bei Silber ist geplatzt", sagt Marcel van Leeuwen, Geschäftsführer der DWPT Deutsche Wertpapiertreuhand GmbH. Der amerikanische Rückzug aus dem billigen Geld bedeutet aus seiner Sicht: Auf absehbare Zeit gibt es keinen Anlass anzunehmen, dass sich der Silberpreis erholen wird. Allerdings ist das weiße Metall immer für eine Überraschung gut. Als die Unze im Jahr 2003 für vier Dollar gehandelt wurde, gab es auch kaum jemanden, der ahnte, dass sich die Notierungen binnen fünf Jahren verfünffachen würden.

Daniel Eckert ist Finanzredakteur der Zeitung "Die Welt". Darüber hinaus ist er Autor des Wirtschaftsbestsellers "Weltkrieg der Währungen" (2010).

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