Worin der wahre Wert von Gold liegt
Goldpreisprognosen sind unsinnig. Der Wert von Gold liegt nicht nur in seinem Preis. Mit Formeln der Finanzanalyse lässt sich überhaupt nicht berechnen, wie viel Gold eigentlich kosten müsste.
Auf den ersten Blick geizen die Goldanalysten der Australia & New Zealand Banking Group (ANZ) nicht mit einer sportlichen Goldpreisprognose. Der Unzenpreis werde sich verdoppeln auf 2.400 Dollar. Das klingt spektakulär, sichert mediale Aufmerksamkeit, relativiert sich aber mit Blick auf den Zeithorizont der Prognose. Der liegt nämlich im Jahr 2030. Gut, Analysten müssen von Berufswegen Preisprognosen abgeben. Nur lässt sich mit Formeln der Finanzanalyse überhaupt nicht berechnen, wie viel Gold eigentlich kosten müsste.
"Wie kann man den Preis von etwas bestimmen, wenn man als Maß etwas benutzt, dessen Menge mit voller Absicht unehrlich reguliert wird?", fragt Anthony Deden. An einer Preisbewegung teilnehmen sei nicht dasselbe, wie einen Anlagegegenstand zu besitzen, sagt der Chef der auf den Bermudas registrierten Investmentfirma Edelweiss Holdings. Für Deden liegt die Bedeutung von Gold ohnehin weniger in seinem Preis als in seinem Besitz.
Dieser Meinung schließen sich immer mehr Anleger an, gerade in Asien. An dieser Stelle schließt sich wieder der Kreis zur Goldstudie der ANZ. Die ANZ-Analysten Warren Hogan und Victor Thianpiriya gehen von einem anhaltenden Anstieg der physischen Goldnachfrage in Asien aus. Diese werde sich von heute 2.500 Tonnen bis 2030 auf 5.000 Tonnen verdoppeln. Das wären immerhin 175 Prozent der weltweiten Minenförderung. So gesehen wirkt das Preisziel noch weniger spektakulär.
Gold als Wohlstandsmetall
Asiaten liebten traditionell Gold, und durch die positive Wirtschaftsentwicklung und steigende Einkommen haben sie immer mehr Geld zum Goldkauf. Zusätzlich befeuert wird die Nachfrage, weil die Bevölkerung auch in Asien im Schnitt immer älter wird. Mit zunehmendem Alter investieren Anleger vermehrt in defensive Anlagen. Auch werden die Zentralbanken in den Schwellenländern ihre Währungsreserven weiter mit Gold auffüllen, um das Vertrauen in die eigenen Währungen zu stärken. 2014 stockten Zentralbanken ihre Goldreserven um rund 480 Tonnen auf. Das war der zweitgrößte Aufbau seit 50 Jahren. Seit nunmehr fünf Jahren treten Zentralbanken als Nettokäufer in Erscheinung. Dieser Trend werde sich fortsetzen. So rechnet das World Gold Council, die Lobbyorganisation der Goldminenindustrie, für 2015 mit Zentralbankkäufen von mindestens 400 Tonnen.
Viele Anleger fragen sich, wohin das Gold gewandert ist, das aus den börsennotierten Goldfonds abgeflossen ist. Deren Bestände schmolzen seit Ende 2012 um 32 Millionen Unzen auf zuletzt 52 Millionen Unzen zusammen. London ist das Zentrum des physischen Goldhandels. Dort lagert auch das Gold der meisten Goldfonds in Form von Standardbarren à 400 Unzen (12,44 Kilo). Von dort wandern immer wieder große Bestände in die Schweiz. Einige Barren landen in Schweizer Schließfächern, weil Investoren es dort besser vor staatlichem Zugriff geschützt wissen. Gold taucht schließlich in keinem Depotauszug mehr auf.
Die Schweiz verfügt aber auch über die weltgrößten Raffineriekapazitäten für Gold. Dort verwandeln sich viele der 12,44 Kilo schweren Barren in kleinere Barren und Münzen, für den Export nach Asien. Die Schweiz meldete in dieser Woche höhere Goldexporte für den Februar. Gemäß Daten der eidgenössischen Zollbehörde wurden insgesamt 135,4 Tonnen Gold ausgeführt. Davon gingen 23,6 Tonnen direkt nach China und 40,3 Tonnen nach Hongkong. Hongkong ist der wichtigste Umschlagplatz für Gold in Richtung Festlandchina. Den größten Sprung machten die Goldexporte nach Indien auf 26,9 Tonnen. China und Indien sind die weltweit wichtigsten Goldmärkte. Dort werden die physischen Goldkäufe in diesem Jahr jeweils 900 bis 1.000 Tonnen erreichen, sagen die ANZ-Goldanalysten voraus. Die Reiseroute des Goldes bestätigt die Geschichte: Gold wanderte schon immer von Regionen, in denen der Wohlstand abnimmt, in solche, deren Wohlstand wächst.
Gold als Krisenmetall
Damit ist nicht gesagt, dass der Weg Chinas zu einer offenen Volkswirtschaft nicht holprig verlaufen wird. Für diesen Fall, gepaart mit einer anhaltenden Instabilität des globalen Finanzsystems, halten die ANZ-Analysten gar einen Preisanstieg auf 3.230 Dollar für denkbar - wie sie auch immer auf genau diesen Preis gekommen sind. Tatsache ist: In China spitzt sich die Lage zu.
Seit Amtsantritt des japanischen Premierministers Shinzo Abe im Dezember 2012 hat der Yen gegenüber dem chinesischen Renminbi etwa 50 Prozent abgewertet. Japan exportiert über seine schwache Währung sinkende Preise und sinkende Wachstumsraten nach Asien und in die gesamte Welt. Die Kopplung des Renminbi an den Dollar und die flächendeckende Aufwertung des Greenback gegenüber anderen asiatischen Währungen – abgesehen vom Hongkong-Dollar, der noch an den Dollar gebunden ist – bringen die hauchdünnen Gewinnmargen in der chinesischen Industrie zusätzlich unter Druck. 2014 wurden trotz Überkapazitäten weitere 5000 Milliarden Dollar in neue Anlagen investiert.
Im Februar sind die Erzeugerpreise um 4,8 Prozent gegenüber Vorjahresmonat gefallen. Es war der stärkste Rückgang seit über fünf Jahren und der 36. Rückgang in Serie. Peking muss jetzt reagieren und die Kopplung an den Dollar lösen – oder China riskiert Rezession und Pleitewelle. Eine substanzielle Abwertung in China bedeutete für den Rest der Welt einen Deflationsimpuls, und für Gold einen Kaufimpuls. Gold sei gar besonders wünschenswert in einer Deflation, meint der berühmte Investor Marc Faber. Denn ein Barren verschwindet ja nicht einfach und sagt: "Ich zahle nicht"!
Sollte der Immobilienmarkt in China aus dem Ruder laufen, könnte Peking gar vollständig die Kontrolle über den Renminbi verlieren. Der Immobilienmarkt kriselt bei bereits empfindlichen Preisrückgängen. Zwei Leitzinssenkungen der People’s Bank of China sind bereits verpufft. Evergrande Real Estate, der zweitgrößte chinesischen Immobilienentwickler, musste jetzt von Banken mit Notfallkrediten in Höhe von 16 Milliarden Dollar gerettet werden. Evergrande ist hoch verschuldet. Die Kredite kommen zu einem großen Teil aus dem Ausland.