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Die riskante Liebe zur launischen Schwester des Goldes

Silber hat seine eigene Faszination. Menschen, die dem Geldsystem misstrauen, gilt es als ewiger, solider Wert. Von denen gibt es zurzeit viele, das Metall boomt. Doch Silber ist auch sehr riskant, schreibt Daniel Eckert von "Die Welt".

Szenen von Terror und Krieg flimmern über den Fernsehbildschirm in der kleinen Wohnung im Osten Berlins. Wie nahezu jeden Abend füllen Syriens Bürgerkrieg, ein Terroranschlag im Irak, Spannungen zwischen Russland und der Nato die Nachrichten. Vom düsteren Zustand der Welt nimmt Matthias P. aber gerade nur aus den Augenwinkeln Notiz. Er beugt sich über eine Schatulle voller Silbermünzen auf seinem Schreibtisch. Die Geldstücke schimmern hell.

Für den 51-jährigen Elektroingenieur ist Silber ein Rettungsanker geworden. Die Unsicherheit bei der Geldanlage steigt und es fehlt an geeigneten Alternativen. Das empfindet nicht nur P. so. Einen Teil seiner Ersparnisse wird er deswegen in das Edelmetall investieren. "Drei- oder viertausend Euro für den Anfang", sagt er. Im Internet beteiligt der Berliner sich an einer Fachsimpelei, welche Münzen die besten sind. Die Philharmoniker aus Österreich oder doch besser die Australier? Und lohnt es sich, einen Jubiläums-Maple-Leaf zu kaufen?

Weltweit boomt die Nachfrage nach Silber. Auch in Deutschland gewinnt die Bewegung der Edelmetall-Fans mächtig an Fahrt. Die dunklen Jahre nach dem Crash von 2011 scheinen vergessen – Mehrwertsteuerlast, Kursstürzen und allen Warnungen von Anlageberatern zum Trotz.

Aggressive Edelmetall-Gurus locken mit großartigen Kursaussichten. Einer, der immer wieder fabelhafte Szenarien ausruft, ist Thorsten Schulte, der sich selbst "der Silberjunge" nennt. "Wer kein Edelmetall besitzt, vertraut den Zentralbanken", lautet sein Credo. Auf der Welt gebe es eine gewaltige Anleiheblase von 139 Billionen Dollar, argumentiert der Ex-Banker.

Der Argwohn gegen Mario Draghi

Verglichen damit sei der Wert allen Silbers mit vielleicht 40 Milliarden Dollar winzig. Wenn nun die Papiergeld-Blase platze, was über kurz oder lang passieren müsse, seien alle mit "Hartgeld" fein raus.

Die alten Markstücke aus Kaisers Zeiten mit dem reich verzierten Reichsadler auf der Rückseite liegen bis heute in vielen Haushalten in den Schubladen und Kommoden. "Hartgeld", nennen die Münzsammler ihre Schätze. Um die Abonnenten seines Newsletters bei Stange zu halten, ruft Schulte Aufsehen erregende Preisziele aus. So sagte er 2012 voraus, Silber werde bis Ende 2015 auf 100 Dollar gestiegen sein. Weiter hätte er kaum daneben liegen können.

Doch trotz nicht eintreffender Prognosen; Silber als Kriseninvestment hat immer schon eine Rolle gespielt. Matthias P., der in einem Berliner Plattenbau wohnt, folgt den Argumenten der Edelmetall-Fans erst seit Kurzem. Und er ist bei Weitem nicht allein. Auch nicht mit seiner düsteren Weltsicht. "Das kann eigentlich alles nur schiefgehen", sagt P. und meint damit den Zustand des Bankensystems, die Risiken der Altersvorsorge, die niedrigen Zinsen.

Aus seinem Argwohn gegenüber EZB-Chef Mario Draghi, der gerade den 500-Euro-Schein abgeschafft hat, Finanzminister Wolfgang Schäuble und der Politik im Allgemeinen macht er keinen Hehl. Die Schieflagen im Bankensystem werden immer größer, findet der Bargeldfan.

Eine Immobilie will er nicht "am Bein haben", und von Riester-Verträgen und anderen staatlich geförderten Vorsorgeprodukten ist er enttäuscht. Überall Risiken. Jetzt will er mit seinem Silberschatz auf alles vorbereitet sein. Dabei gehen zunächst die Silber-Investoren selbst große Risiken ein. In der Geschichte stand das Edelmetall nämlich für Launenhaftigkeit. Manche sind damit reich geworden, andere hat es ruiniert.

Der teuflische Berg

Fast 11.000 Kilometer von Berlin entfernt, in Bolivien, bewegt Silber seit Jahrhunderten die Gemüter. Hier, nahe der Stadt Potosí, liegt der Cerro Rico und damit die einst silberreichste Mine der westlichen Hemisphäre.

Wie schon zu Zeiten des spanischen Weltreichs gehen noch heute Mineros auf dem Weg in den Berg . Und wie schon zu Zeiten der Spanier kommt jeder, der in den Stollen des vollkommen ausgehöhlten Massivs nach Erz gräbt, am Tío vorbei, einer Strohpuppe, die Teufel darstellt. Kaum ein Bergmann, der nicht abergläubisch ist und dem Tío nicht irgend ein Opfer darbringt. Schnaps. Oder etwas zu essen. Über die Jahrhunderte hat das Graben nach Silber hier Hunderte Menschen das Leben gekostet.

Mörderisch sind die Bedingungen im Cerro Rico, im reichen Berg. Er hat die Herrschenden wohlhabend gemacht, nicht nur in der nahen Potosí, wo prächtige Bürgervillen und reich dekorierte Brunnen von diesem Reichtum künden. Doch der Wohlstand war oft nicht von Dauer, und für viele Seeleute bedeutete Silber den Tod. Bis heute gilt es als das "Metall des Teufels".

Auch Privatanleger, die ihre Ersparnisse dem trügerischen Element anvertrauen, haben vor gar nicht allzu langer Zeit erfahren, warum. Der letzte Silber-Hype liegt erst fünf, sechs Jahre zurück. Spekulanten trieben den Preis, der stets in Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) angegeben wird, damals auf das Dreifache nach oben. Wer sich von der Euphorie anstecken ließ, kaufte bei 40 Dollar (heute 35,40 Euro). Und dann, auf einen Schlag, war der Höhenflug vorbei. Ende vergangenen Jahres wurde die Unze für weniger als 14 Dollar gehandelt. Gesamtverlust bis zu 70 Prozent.

Noch ist der Boom jung

Jetzt also die Wende. Seit seinem Tief im Dezember 2015 ist der Preis um rund ein Drittel nach oben gesprungen. An den Rohstoffmärkten wird die Feinunze jetzt zu rund 17 Dollar gehandelt. "Die Umsätze, die wir mit Silber machen, liegen 50 Prozent über denen des Vorjahres", berichtet Oliver Heuschuch von Degussa, dem Marktführer der deutschen Edelmetallhändler.

Beim Konkurrenten ProAurum spricht man von zehn Prozent plus. Viele kaufen, weil sie Silber im Verhältnis zu seinem großen Bruder für günstig halten. Eine Unze Gold kostet fast 75-mal so viel.

Noch ist der jetzige Silberboom jung und verglichen mit früheren Haussen nicht aus dem Ruder gelaufen. Doch es gibt schon warnende Stimmen, vor allem bei den Kreditinstituten, die Edelmetalle als Geldanlage skeptisch sehen. "Der Preisanstieg steht auf wackeligen Beinen", findet Eugen Weinberg, Rohstoffexperte bei der Commerzbank.

Nach Einschätzung von Weinberg sind viele der Faktoren, die den Silberpreis in den vergangenen Jahren gedrückt haben, immer noch wirksam. Zwar hat sich die Nachfrage zuletzt belebt, doch auch das Angebot ist gestiegen. Die Erwartung, dass der sinkende Preis zu einem Angebotsrückgang führt, hat sich nicht bestätigt. Silber wird häufig mit anderen, unedlen Metallen aus der Erde geholt. Keine Knappheit, kein Engpass nirgends.

Metall voller Launen

Ebenso wie Gold hat Silber davon profitiert, dass die weltweit wichtigste Notenbank Fed von ihrem Zinserhöhungskurs abgerückt ist, sagen sie. Keine höheren Zinsen in den USA aber heißt: Keine Konkurrenz für unverzinste Investments wie Silber. Und das heißt ebenfalls: Der Dollar gerät unter Druck, was Edelmetallen traditionell den Rücken stärkt. "Schwaches Wirtschaftswachstum, der Dollar-Ausverkauf und negative Anleiherenditen haben dazu geführt, dass sich Investoren wieder den Edelmetallen zugewendet haben", sagt Ole Hansen, Rohstoffexperte bei der Saxo Bank.

Doch ob im Laufe des Jahres nicht doch wieder Zinserhöhungsfantasien in den Markt kommen, ist vollkommen offen. Die Silber-Rallye könnte schon viel zu weit gelaufen sein. "Da sind viele Spekulanten im Markt", sagt Weinberg und rechnet mit einem Rückschlag im Sommer, der den Preis bis auf 15 Dollar drücken könnte.

Silber kennt so starke Preisausschläge wie kaum ein anderer Rohstoff. In den zurückliegenden Jahren schwankten die Notierungen schon einmal um zehn Dollar. "Silber-Anleger müssen schon ein kleines Spekulations-Gen in sich tragen", sagt Benjamin Summa von ProAurum in München. Die Launenhaftigkeit hat damit zu tun, dass Silber ein Mischwesen ist: halb "Hartgeld" für Sparer, halb Werkstoff für die Industrie. Zwei mächtige Kräfte ringen miteinander.

19 Prozent Mehrwertsteuer

Die Investoren kaufen Silber, um es zu horten und später möglichst mit Gewinn weiterzuverkaufen. Die Konzerne erwerben es, um damit Solar-Paneele, Schmuck oder medizinische Produkte herzustellen. Vergangenes Jahr machte der industrielle Verbrauch rund 50 Prozent der Nachfrage aus.

Dazwischen tummeln sich die Spekulanten, die leichtes Spiel haben, den Preis in die eine oder andere Richtung zu treiben, eben weil der Markt für Silber sehr klein ist. Anfang der Achtzigerjahre setzten die texanischen Brüder Hunter alles daran, den Handel zu cornern, also zu beherrschen. Am Ende scheiterten sie und waren ruiniert. Auch sie ein Fall für den Tío.

Für Privatanleger hat ein Investment in physisches Silber schon allein deshalb Tücken, weil es mit hohen Kosten belegt ist. Wer Münzen oder Barren kauft, zahlt in Deutschland bis zu 19 Prozent Mehrwertsteuer, wenn das Geldstück aus der EU stammt. Dazu kommen noch ein Prägeaufschlag und die Marge für den Händler. Das führt dazu, dass jeder, der eine Unze erwirbt, zunächst einmal auf einem Verlust von mindestens einem Fünftel des eingesetzten Geldes sitzt. Denn soviel weniger bekäme er am Schalter für dieselbe Münze, die er eben erst gekauft hat. Jedes Finanzprodukt, das derartige Kosten aufwirft, würde zum Teufel gejagt.

Viele Edelmetall-Fans halten dagegen, man müsse Silber wie eine Lebensversicherung begreifen. Ob der Preis ein wenig höher oder niedriger stehe, darauf komme es nicht an. Wenn das Finanzsystem in die Brüche geht, sei Silber immer noch etwas wert. Ebenso wie Großvaters Markstücke aus der Kaiserzeit.

Aber Silber ist eben ein teuflisches Metall, und launisch selbst mit denen, die es anbeten.
 

Daniel Eckert ist Finanzredakteur der Zeitung "Die Welt". Darüber hinaus ist er Autor des Wirtschaftsbestsellers "Weltkrieg der Währungen" (2010).

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