Goldpreis fällt trotz Run auf Münzen
Gold ist so billig wie zuletzt vor sechs Jahren. Denn viele einstige Anhänger der Krisenwährung haben jetzt Vertrauen in die Notenbank. Privatanleger kaufen dennoch mehr Barren – und vor allem eine Münze, schreibt Ingo Narat von der WirtschaftsWoche.
Die amerikanische Freiheitsstatue ist begehrt wie lange nicht. Es geht um die kleine Version, die US-Goldmünze „American Eagle“. Auf der Vorderseite trägt Lady Liberty in der einen Hand die Fackel als Freiheitssymbol, in der anderen den Olivenzweig als Sinnbild für den Frieden. Zusammen mit dem Adler auf der Rückseite ist das hübsch anzusehen und zieht viele Anleger an.
Die US-Münzprägeanstalt verkaufte im dritten Quartal sehr viele der schön gestalteten Münzen. Sie verfehlte den Rekordabsatz aus dem vierten Quartal 2008 nur knapp – es war der Höhepunkt der Finanzkrise mit der Pleite der Lehman-Bank.
Die neue Lust der Anleger auf den Eagle trieb auch die Gold-Anlagekäufe der Verbraucher in den USA mächtig nach oben. Zahlen dazu und zum weltweiten Goldmarkt legte am Mittwoch der World Gold Council WGC vor. Nach Angaben der Minenlobby vervielfachte sich der Gesamtabsatz an Barren und Münzen in den USA im dritten Quartal gegenüber den drei Monaten davor (siehe Grafik). „Da spielte auch der Goldpreisrückgang im Sommer eine Rolle, den viele Anleger für günstige Käufe nutzten“, sagt WGC-Analyst Alistair Hewitt.
Traditionell würden vor allem Asiaten tiefere Preise zu Käufen nutzen. Die Westeuropäer hätten im dritten Quartal allerdings ebenfalls stärker zugegriffen. Die Deutschen beispielsweise kauften 31,7 Tonnen Barren und Münzen. Das ist über ein Viertel mehr als im Vorquartal. „Die Deutschen sorgen sich weiter wegen Griechenland, Osteuropa und wegen der Folgen der Geldpolitik der EZB“, sagt Hewitt. Darüber hinaus schüre die Flüchtlingskrise die Unsicherheit in Europa, was auf dem Kontinent ein zusätzliches Kaufmotiv sei.
Deutsche und andere Bewohner westlicher Länder konzentrieren sich beim Goldkauf auf Barren und Münzen. Bei den Asiaten ist das ganz anders. Chinesen und Inder etwa kaufen vor allem Goldschmuck. „Das ist in Asien ein Teil der Kultur“, erinnert Hewitt. Dort sei Gold ein wichtiges Geschenk bei Hochzeiten oder als Gabe an Neugeborene, ebenso sei es ein Statussymbol. Laut WGC erwarben die Inder allein im dritten Quartal insgesamt 268 Tonnen Gold. Der größte Teil davon war Schmuck.
Auch steigende Nachfrage stoppt nicht den Preisrückgang
Die gestiegene Nachfrage konnte allerdings den anhaltenden Goldpreisrückgang nicht stoppen. Am Top vor viereinhalb Jahren waren für die Unze des Edelmetalls über 1.900 Dollar gezahlt worden. Am Mittwoch waren die 31,1 Gramm für weniger als 1 080 Dollar zu haben. So billig war Gold zuletzt vor knapp sechs Jahren.
Die Talfahrt hat Gründe. Goldfans wurden doppelt enttäuscht. In früheren Jahren hatten sie gekauft, weil sie wegen der steigenden Verschuldung und wegen der lockeren Geldpolitiken der Notenbanken eine höhere Inflation erwarteten. Doch es passierte das Gegenteil, es gibt praktisch keine Geldentwertung mehr. Heute fürchtet man sich eher vor Deflation. Darüber hinaus startete der Boom an den Aktienmärkten. Manche Anleger investierten deshalb ihr Geld lieber dort.
Den Stimmungswandel im Laufe der Jahre illustrieren die Bewegungen bei den Goldfonds. Diese Anlageprodukte kamen in Mode, weil Investoren das Metall so leicht wie ein Wertpapier erwerben können. Bis zum Jahr 2012 hatten die Investoren laut WGC weltweit in den Goldfonds dreistellige Tonnenmengen zugekauft – jedes Jahr. Dann wendete sich dieser Markt dramatisch. Im Jahr 2013 zogen die Anleger 913 Tonnen aus den Goldfonds ab. Seitdem sinken die Rückgaben stetig. Und im laufenden Jahr verkauften die Investoren nur noch 64 Tonnen aus den Goldfonds.
Aus diesem nachlassenden Druck bereits eine Trendwende zum Besseren abzuleiten scheint verfrüht. Ein alter Hase im Goldgeschäft ist zurückhaltend. John Hathaway, bekannter US-Fondsverwalter, gibt sich bescheiden: „Die Anleger vertrauen den Notenbanken, deshalb kommt der Goldpreis nicht auf die Füße“, sagt er. Er will ausdrücken: Ohne echte Krise wird die Stimmung an den Finanzmärkten nicht drehen und der Goldpreis nicht steigen können.
Aktuelle Researchberichte bestätigen das Stimmungsbild. So hat Rohstoffexperte Kevin Norrish von der britischen Bank Barclays die Goldpreiszyklen der vergangenen Jahrzehnte untersucht. „In früheren Zyklen ist der Preis an den Tiefständen immer viel länger auf seinem gedrückten Niveau geblieben als im bisher laufenden Zyklus“, rechnet er aus. Rein statistisch steht dem Goldpreis noch ein weiteres dürres Jahr ins Haus.
Das Rohstoffteam beim französischen Geldhaus Natixis gibt sich ebenfalls skeptisch. Die Analysten argumentieren mit den erwarteten höheren Zinsen in den USA und einem daraus abgeleiteten weiteren Dollar-Aufschwung, was den Goldpreis belaste. Gold gilt als Alternativwährung zum Greenback. Wenn der Dollar steigt, so die Idee, verliert Gold. Das Szenario ist unter Börsianern momentan populär. Die Natixis-Analysten können sich im nächsten Jahr sogar einen Gold-Tiefpreis von 850 Dollar je Unze vorstellen.
Die Geduld der Goldbesitzer wird strapaziert. Ihnen bleibt bis auf weiteres nur das Prinzip Hoffnung. Und als kleiner Trost ein Blick auf die schönen Münzenmotive.