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Großbritannien droht die Zerreißprobe

Im September stimmen die Schotten über die Abspaltung von Großbritannien ab. Politiker und Börsianer unterschätzen die Risiken. Vor allem die Währungsfrage ist ein Problem.

Großbritannien droht schlecht vorbereitet in ein beispielloses ökonomisches Großexperiment hineinzustolpern. In sechs Wochen werden die Schotten in einem Volksentscheid über die Abspaltung vom Rest des Vereinigten Königreichs und die Gründung eine eigenen Staates abstimmen. Eine mögliche Aufspaltung von Europas drittgrößter Volkswirtschaft in zwei souveräne Nationalstaaten könnte das Land in ein politisches und wirtschaftliches Chaos stürzen, und Großbritanniens Banken- und Finanzsystem destabilisieren und zu einer Regierungskrise führen. Doch bei Bankanalysten und ausländischen Diplomaten wächst die Besorgnis, dass sowohl die britische Politik als auch die Finanzmärkte die Risiken des Referendums unterschätzen. England und Schottland bilden seit dem Jahr 1707 einen gemeinsamen Staat.

Die größte ökonomische Unbekannte ist die Währungsfrage. Eine am Dienstagabend ausgestrahlte Fernsehdebatte zeigte, wie verhärtet die Fronten kurz vor dem Urnengang sind: Schottlands Ministerpräsident Alex Salmond, der seit langem für die Unabhängigkeit eintritt, wich dabei wiederholt der Frage aus, wie er mit den währungspolitischen Risiken einer Abspaltung umgehen werde. „Wir behalten das Pfund, denn es ist genauso unser Pfund, wie das von England“, sagte Salmond. Allerdings hat die Regierung in London angekündigt, ein unabhängiges Schottland werde auch den Zugang zur gemeinsamen Währung verlieren. In der Fernsehdebatte fragte Salmonds Kontrahent, der frühere britische Finanzminister Alistair Darling, deshalb mehrfach nach dessen „Plan B“ in der Währungsfrage – ohne dass Salmond eine Antwort parat hatte. Die schottischen Nationalisten weisen die Ankündigung der Gegenseite, das Pfund stehe einem unabhängigen Schottland nicht mehr zur Verfügung, als unglaubwürdigen Einschüchterungsversuch zurück.

Meinungsumfragen zufolge sind die Separatisten derzeit im Rückstand: Nach einer in dieser Woche veröffentlichten Erhebung sind 52 Prozent der Wahlberechtigten gegen die Abspaltung und 37 Prozent dafür. Vor allem ein relativ hoher Anteil von bislang Unentschlossenen und die Ungewissheit über die Höhe der Wahlbeteiligung erschwert jedoch eine zuverlässige Prognose. Die Wahlkampfmaschine von Salmonds Scottish National Party (SNP) gilt zudem als schlagkräftiger und besser organisiert. Bei den letzten schottischen Wahlen im Sommer 2011 hat die SNP erstmals die Mehrheit der Sitze im Regionalparlament gewonnen.

Sollte Schottland tatsächlich das Pfund verlieren, wäre das gefährliches währungspolitisches Neuland, warnt der Devisenanalyst Oliver Harvey von der Deutschen Bank in London. „Einen vergleichbaren Fall hat es noch nie in der Geschichte gegeben“, sagt Harvey und rechnet unter solchen Umständen mit einem fluchtartigen Ausverkauf des Pfunds am Devisenmarkt. Bisher dagegen schieben die Investoren das Risiko offenbar weitgehend beiseite: Trotz der währungspolitischen Ungewissheit hat das Pfund gegenüber dem Euro in den vergangenen Monaten deutlich aufgewertet.

„Es gibt am Finanzmarkt derzeit definitiv einen nachlässigen Umgang mit dieser Ungewissheit“, glaubt der Währungsexperte Harvey. Ausländische Beobachter im Londoner Regierungsviertel wundern sich über den lässigen Umgang der Regierung mit dem Referendum. „Man staunt über diese Gelassenheit“, heißt es in Diplomatenkreisen. Das Finanzministeriums teilte mit, es gebe bisher keine währungspolitischen Vorbereitungen für den Fall eines Unabhängigkeitsvotums.

„Wir machen keine Pläne für die Aufspaltung Großbritanniens“, sagte ein Sprecher. Analysten mahnen dagegen, die komplexen Vorbereitungen müssten jetzt angegangen werden, um notfalls gewappnet zu sein. Im Falle der Abspaltung müsse die Regierung schnell für Klarheit sorgen, um die Märkte zu beruhigen. Ein Sprecher der Bank von England verwies am Mittwoch lediglich auf frühere Aussagen von Notenbankgouverneur Mark Carney. Dieser hat im Frühjahr betont, es sei Sache der Parlamente in London und Edinburgh über die Währungsfrage zu entscheiden. Die Bank von England werde gegebenenfalls „eindeutigen und öffentlichen Rat“ erteilen.

Acht Prozent der Wirtschaftsleistung und Bevölkerung

Schottland macht nur etwa 8 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung und der Bevölkerung aus. Aber mit der Royal Bank of Scotland (RBS) und der Bank of Scotland haben zwei systemrelevante und landesweit aktive Großbanken ihren Hauptsitz auf schottischem Gebiet. Wenn ein unabhängiges Schottland tatsächlich gezwungen wäre, das Pfund abzugeben, würden beide Finanzkonzerne den Zugang zu Nothilfen der Bank von England („lender of last ressort“) verlieren. Weil fraglich ist, ob das kleine Schottland die Finanzriesen im Notfall allein stützen könnte, droht den Banken eine Vertrauenskrise und ein fluchtartiger Rückzug von Kunden und Investoren. Vor allem die RBS, die während der Weltfinanzkrise mit 46Milliarden Pfund Steuergeld gerettet wurde, ist weiterhin geschwächt.

Als Alternative zum Pfund könnte Schottland entweder seine eigene Währung schaffen, das Pfund informell weiterverwenden oder sich um die Aufnahme in die Eurozone bemühen. Alle drei Alternativen gelten jedoch als problematisch und sind mit großen ökonomischen und rechtlichen Unsicherheiten behaftet. Ein Hauptproblem neben dem großen schottischen Bankensektor ist die enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen Schottland und dem Rest Großbritanniens. Millionen bestehender Vertragsbeziehungen, zwischen schottischen und britischen Geschäftspartnern müssten auf die neue Währung angepasst werden. „Jede Währungsumstellung von Verträgen wäre chaotisch und mit rechtlichen Risiken verbunden“, befürchtet der Währungsexperte Harvey von der Deutschen Bank.

Marcus Theurer ist Wirtschaftskorrespondent für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" in London.

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