Das ist die Hüterin des englischen Goldschatzes
London ist der wichtigste Handelsplatz für Gold. Darüber wacht eine junge Amerikanerin. Anders als bei Kupfer oder Platin spielen Emotionen eine große Rolle – denn Gold ist ein ganz besonderer Stoff, schreibt Nina Trentmann von "Die Welt".
Sauber aufgereihte Münzen in Glaskästen, dazu kleine Barren, eine Waage und jede Menge einschlägige Literatur. Worum es hier, im Obergeschoss der Hausnummer 1 der Royal Exchange Buildings im Zentrum Londons, geht, ist unschwer zu erkennen: Gold!
In dem Gebäude aus hellem Stein, nur wenige Minuten von der Bank of England entfernt, residiert die London Bullion Market Association (LBMA). Sie kontrolliert den wichtigsten Goldhandelsplatz der Welt. An ihrer Spitze steht Ruth Crowell, eine junge Amerikanerin. Ihre Aufgabe ist es, die konservative Branche in die Zukunft zu führen – in eine Zukunft, in der es mehr Wettbewerb, aber auch mehr Transparenz geben wird.
Es sind schwierige Zeiten, durch die die 36-Jährige das traditionsreiche Unternehmen führen muss. Der Stoff, um den sich hier in London alles dreht, hat ein schlechtes Jahr hinter sich. Angesichts niedriger Inflationsraten und einer vermeintlichen Lösung der Euro-Krise hat das Interesse an dem Edelmetall – trotz zahlreicher geopolitischer Krisenherde – nachgelassen, viele Prognosen sagen für 2016 einen weiteren Preisverfall voraus. Immerhin war der Jahresauftakt vielversprechend: Im Zuge des China-Crashs, der die Märkte weltweit verunsichert, stiegen die Goldnotierungen signifikant an.
Bewunderung für das gelbe Metall
Doch die eigentliche Herausforderung für die junge Frau ist nicht das Alltagsgeschäft mit seinem ständigen Auf und Ab. In den nächsten Jahren wird es für sie vor allem darauf ankommen, die LBMA fit zu machen für den globalen Wettbewerb. Die Goldbörse in Shanghai möchte dem alteingesessenen Londoner Handelsplatz die Spitzenstellung streitig machen.
Dass Crowell das Zeug hat, dieses Ziel zu erreichen, hat sie in den vergangenen eineinhalb Jahren, in denen sie sich an der Spitze der Organisation behauptet, bewiesen. Dabei hat sie den Weg in die traditionell eher von konservativen, älteren Männern dominierte Branche eher durch Zufall gefunden. "Ich brauchte einen Job, um meine Miete zu zahlen", sagt sie mit Blick auf das Jahr 2007, als sie nach dem Masterstudium an der London School of Economics eine Stelle in London suchte. "Damals dachte ich noch, ,Bullion' hätte etwas mit Suppe zu tun." Auch ihre Studienfächer – englische Literatur, später internationale Beziehungen – führten ja nicht gerade zwangsweise in den Edelmetallhandel. Das hinderte die Amerikanerin jedoch nicht daran, sich binnen sieben Jahren bis an die Spitze der LBMA hochzuarbeiten.
Auch wenn sie bis zu ihrem Berufseinstieg kaum eine Affinität zum Gold hatte: Ruth Crowell erlag schnell der Bewunderung für das gelbe Metall. Und sie hat ihre Hausaufgaben gemacht. "Die Leute wollen etwas haben, das werthaltig und stabil ist", sagt sie mit Überzeugung in der Stimme. "Gold ist die älteste Währung der Welt, die Menschen haben das Gold immer geliebt", erklärt die hochgewachsene Frau mit langen, braunen Haaren. Der Rohstoff diene als sichere Form der Geldaufbewahrung und schütze vor Inflation. Darüber hinaus ist es praktisch unzerstörbar, nicht künstlich herzustellen und kommt nur in kleinen Mengen vor. "Gold bringt viel Glanz mit sich", sagt Crowell. Ihre Augen leuchten.
2015 war für Goldpreis mies
Anders als Kupfer oder Platin weckt Gold auch bei Kleinanlegern große Emotionen – und das, obwohl es als Anlageklasse relativ überschaubar ist. 73 Scheideanstalten für Gold sind bei der LBMA registriert. Sie verarbeiten das Metall zu Münzen und Barren. Nach Angaben der Organisation stellen sie 85 bis 90 Prozent der Weltproduktion dar, das waren im Jahr 2013 gerade mal 4579 Tonnen des Edelmetalls. "Deutschland ist eines der Länder, in denen auch normale Bürger Gold kaufen", sagt Crowell. Die Hyperinflation der 1920er-Jahre sei einer der Gründe dafür, erklärt die Expertin. Großbritannien dagegen kennt diese extremen Währungsschwankungen nicht, der Normalbürger im Vereinigten Königreich kauft deshalb Crowell zufolge deutlich seltener Gold zu Zwecken der Geldanlage.
Dass der Goldpreis 2015 kein gutes Jahr hatte, spürt auch die LBMA-Chefin. Das Handelsvolumen etwa sank im September auf ein Zehn-Jahres-Tief, es wechselten nur noch 15,6 Millionen Unzen den Besitzer. Im Oktober stieg das Volumen nur leicht, auf 15,9 Millionen Unzen. "Der Preisverfall bedeutet, dass auch das Interesse abnimmt – damit fallen auch die Volumina", erklärt Crowell.
Dass das auch 2016 so weitergeht, ist zumindest zweifelhaft. Zwar hat die US-Investmentbank Goldman Sachs prognostiziert, der Goldpreis werde innerhalb der kommenden zwölf Monate auf 1000 Dollar pro Unze fallen. Doch die neue Unsicherheit an den Märkten hat vor allem das Interesse an der klassischen Schutzfunktion des Edelmetalls wieder aufleben lassen und den Preis zuletzt deutlich nach oben getrieben.
Angst um Goldbarren
Die Faszination des Goldes besteht für Crowell aber nicht nur aus einer eher abstrakten Schutzfunktion, sondern auch aus seiner Haptik. Einen Barren zum ersten Mal in der Hand zu halten, überrascht zu sein von der enormen Dichte des Stoffs, das hat sie in den Bann gezogen. Deshalb mag sie es auch nicht, wenn die Ganoven in Hollywood-Filmen mit Goldbarren im Arm flüchten.
Das wirke dann wie ein Fake, meint sie, schließlich läuft es sich mit kiloschweren Barren unter dem Arm nicht sonderlich gut. Auch der Londoner Gold- und Silberpreis kam einigen Beobachtern zuletzt so vor – wie ein Fake. Die durch Telefonkonferenzen zwischen teilnehmenden Banken festgelegten Preise seien leicht zu manipulieren gewesen, erklärt zum Beispiel Rosa Abrantes-Metz, eine New Yorker Wissenschaftlerin, die an der Stern School of Business forscht.
In der Folge des Skandals um die Londoner Interbankzinssätze (Libor) beendeten einige Banken ihre Teilnahme an den Telefonkonferenzen, die LBMA musste schnell Ersatz finden. Nach dem Silberpreis wurde in diesem Frühjahr auch der Goldpreis umgestellt, er wird seitdem zweimal am Tag mithilfe eines elektronischen Auktionsverfahrens bestimmt. Dies sei deutlich weniger anfällig für etwaige Manipulationen, sagt Abrantes-Metz: "Die Preisfindung ist nun sehr viel transparenter, denn die Auktion ist für Marktteilnehmer einsehbar", erklärt sie. Auch gebe es keinen Interessenkonflikt mehr, da der von der LBMA beauftragte Auktionsverwalter nicht selber im Goldhandel tätig sei.
London hat führende Stellung bei Goldhandel
Die Londoner Organisation wacht jedoch nicht nur über den Gold- und den Silberpreis, sondern auch über die "Good Delivery List", eine Liste der für den Handel in London zugelassenen Scheideanstalten. Die Liste wurde erstmals im Jahr 1750 aufgesetzt und garantiert, dass in London nur Gold gelagert wird, das den Reinheitsgeboten der LBMA entspricht. Die Liste ist eine Art inoffizieller Standard für den weltweiten Handel mit Goldbarren, sie wird in einigen Ländern auch für den inländischen Handel benutzt. Die LBMA verwaltet nicht nur die Liste, sie vermittelt auch, wenn sich Scheideanstalten und Lagerhausbetreiber nicht einig werden können. "Gold ist ein Industriemetall", sagt Ruth Crowell, "es muss nicht wie ein Fabergé-Ei aussehen." Dennoch gebe es manchmal Auseinandersetzungen darüber, welche Barren die Standards erfüllen und welche nicht.
Beobachtern zufolge übt die LBMA an dieser Stelle eine wichtige Funktion aus. "Sie sorgt dafür, dass der Goldmarkt gegenüber Regierungen und Regulierungsbehörden mit einer Stimme spricht", sagt Wolfgang Wrzesniok-Rossbach, Geschäftsführer der Degussa Goldhandel. Die im Goldgeschäft tätigen Firmen profitieren ihm zufolge vor allem von den strikten Vorgaben, die die LBMA macht. "Das Setzen von weltweit anerkannten Qualitätsstandards ist sehr wertvoll. Ohne sie würde auf dem Goldmarkt vermutlich ein ziemliches Durcheinander herrschen", sagt Wrzesniok-Rossbach.
Ihre Rolle als internationales Zentrum des außerbörslichen Goldhandels verdankt die Stadt London dabei sowohl der Geschichte als auch der günstigen geografischen Lage. Schon im 17. Jahrhundert begannen einige Briten, mit Silber zu handeln, auch das Gold kam auf diesem Wege in die britische Hauptstadt. "Die Lage ist einer der Vorteile für London", sagt Crowell. "Die Stadt liegt an einer Stelle, von der aus sie sich zu verschiedenen Zeiten des Tages mit vielen Punkten auf der Welt verbinden kann."
Konkurrenz aus Asien
Sie ist überzeugt, dass London diese führende Stellung behalten wird – trotz der zunehmenden Konkurrenz aus Asien. Seit Jahresbeginn legt die Shanghai Gold Exchange, die chinesische Goldbörse, einen eigenen Preis fest, er wird in der China-Währung Renminbi ausgegeben. Obwohl das Reich der Mitte einer der größten Abnehmer für das Edelmetall ist, hat es bislang keinen großen Einfluss auf die Preisfindung ausgeübt. Das könnte sich nun mit dem Shanghaier Goldpreis ändern.
Für London sei das jedoch keine Bedrohung, meint Crowell: "Andere Handelsplätze, wie zum Beispiel Shanghai, wirken ergänzend. Sie sind keine Konkurrenten für London." Daran werde sich auch dann nichts ändern, sollten die Briten im anstehenden EU-Referendum für den Austritt aus der Europäischen Union stimmen. "London hat eine sehr lange Gold-Geschichte", sagt Crowell. "Es müsste eine erdbebenartige Veränderung geben, damit sich das ändert."
Zu dieser Einschätzung kommen auch andere Experten. "Ich sehe London weiterhin als führenden Goldhandelsplatz", sagt Wrzesniok-Rossbach. Die Bandbreite institutioneller Investoren sei groß, auch sei die Industrie durch Organisationen wie den World Gold Council, die Vereinigung der Goldproduzenten, gut vertreten. "Sie sorgen dafür, dass London der zentrale Platz ist, wenn es darum geht, die organisatorische und regulatorische Zukunft der Edelmetallmärkte zu organisieren", sagt er.
Problem Afrika
Als solcher hat er auch eine Verantwortung, die Crowell als Geschäftsführerin übernimmt. Die LBMA muss gewährleisten, dass das Gold, das ihre Mitgliedsunternehmen verarbeiten, nicht aus Konflikt- und Bürgerkriegsgegenden stammt. Alle 73 Goldscheideanstalten sind verpflichtet, sich durch Dritte prüfen zu lassen und die Richtlinien der LBMA zu erfüllen. "Wir müssen sicherstellen, dass das Gold keine Konflikte, Terrorismus oder Geldwäsche fördert", sagt Crowell. Das sei jedoch eine große Herausforderung: "Wir können nicht ganz Afrika boykottieren", sagt sie. "Geldwäsche ist in der Goldindustrie seit jeher ein Thema."
Trotz ihrer inzwischen starken emotionalen Verbindung zum Edelmetall besitzt Ruth Crowell kein Gold, von etwas Schmuck abgesehen. Sie möchte jede Form von Interessenkonflikt vermeiden. Ein wenig Schmuck aber, das gehe schon, findet sie. "Schmuck ist schließlich das Endstadium eines Goldbarrens", meint sie und fasst nach ihren Ohrläppchen. Dort sitzen heute jedoch keine goldgefassten Brillanten, sondern kleine Totenköpfe.