Die mysteriöse Flucht der Deutschen ins Gold
Die niedrigen Zinsen und die stete Enteignung der deutschen Sparer - eines der Themen, das die Bundesbürger empfindlich trifft, tauchte im Wahlkampf so gut wie gar nicht auf, schreibt
Holger Zschäpitz von "Die Welt".Es drängt sich der Eindruck auf, die Deutschen hätten sich mit der Situation abgefunden. Doch weit gefehlt. Eine neue Statistik offenbart, dass sie still und heimlich mit den Füßen abgestimmt haben. Sie haben aus Angst vor Inflation und Spekulationsblasen bei Aktien und Anleihen zuletzt so viel Gold gekauft wie noch nie.
Das zeigt eine Studie des World Gold Councils, einer Art Lobbyvereinigung der Edelmetallbranche: Danach haben die Deutschen allein im vergangenen Jahr knapp sieben Milliarden Euro in Goldfonds gepackt. Das entspricht einer Nachfrage nach dem Edelmetall von rund 80 Tonnen. Gleichzeitig kauften die Bundesbürger noch einmal Münzen und Barren im Volumen von 110 Tonnen. Die Gesamtnachfrage erreichte mit knapp 200 Tonnen einen historischen Höchststand.
Deutschland ist führende Gold-Nation
Deutschland ist damit zur führenden Gold-Nation weltweit geworden. Pro Kopf wurden hierzulande knapp 1,5 Gramm erworben. Das ist deutlich mehr als die Nachfrage in klassischen Gold-Ländern wie der Türkei, China oder Indien. Die im Ranking zweitplatzierten Türken kauften durchschnittlich lediglich 0,9 Gramm des Edelmetalls, die Inder sogar nur 0,5 Gramm.
Dabei sind in diesen Pro-Kopf-Zahlen noch nicht einmal die Investitionen in Goldfonds enthalten. Und da spielt sich ein wahrer Goldrausch ab. Das Anlagevolumen der Produkte erreichte Ende September mit 252 Tonnen ein Allzeithoch.
Hinter den Goldfonds verstecken sich Finanzvehikel wie Xetra Gold oder EUWAX Gold, bei denen das Geld der Kunden mit Edelmetall gedeckt sind. Sparer können ihr Geld direkt in die Produkte investieren so wie bei einem klassischen Investmentfonds. Die Anbieter wiederum stecken das Geld der Sparer direkt in Gold, das sie in riesigen Kellern lagern. Und es gibt noch eine spezielle Eigenheit. Die Sparer können sich ihr Geld später in Gold auszahlen lassen. Bei Xetra Gold wurden auf diese Weise seit dem Start im Jahr 2009 bereits 4,6 Tonnen an Anleger ausgeliefert.
„Die Deutschen streben ins Gold, um ihr Vermögen zu schützen“, schreiben die Experten des World Gold Council in ihrer Analyse. Die Finanzkrise vor zehn Jahren habe ein Umdenken ausgelöst und aus den Deutschen ein Land der Goldliebhaber gemacht.
Pleite von Lehman Brothers markiert Wende
Tatsächlich markiert das Jahr 2008 eine gewisse Wende bei der Edelmetall-Nachfrage. Zwischen 1995 und 2007 kauften die Bundesbürger gerade mal durchschnittlich 17 Tonnen Münzen und Barren pro Jahr. Das war so wenig, dass sich viele Banken aus dem Goldgeschäft ganz zurückzogen. Doch die Pleite von Lehman Brothers veränderte alles. Seither gehen Jahr für Jahr mehr als 100 Tonnen an Barren und Münzen über die Tresen der Edelmetallhändler. Seither nehmen auch die Zuflüsse in die Goldfonds spektakulär zu.
Die Rekordnachfrage im vergangenen Jahr ist auch insofern bemerkenswert, als Gold in drei Vorjahren jeweils Wertverluste verzeichnete. Das lässt darauf schließen, dass die Bundesbürger nicht in der Hoffnung auf schnelle Gewinne in das Edelmetall streben, sondern ein anderes Motiv dahinter steckt.
In einer Umfrage, die das World Gold Council nach den überraschenden Nachfragedaten in Auftrag gab, sagte die Mehrheit der Bundesbürger, sie wollten mit ihren Edelmetall-Engagements ihr Vermögen sichern. Lediglich gut jeder Vierte ließ sich von Renditehoffnungen leiten und meinte, Gold werfe langfristig gute Wertgewinne ab. Knapp 23 Prozent sah die Goldinvestments als Teil ihrer Altersvorsorge.
Inflationstrauma noch nicht überwunden
Die Zahlen zeigen, dass die Deutschen mitnichten ihr Inflationstrauma überwunden haben. Die archaische Grundangst der Deutschen resultiert nicht allein aus der Hyperinflation von 1923, die viele Deutsche um ihr Vermögen brachte. Vielmehr lässt sich diese urdeutsche Angst bis tief ins Mittelalter mit seinen unübersichtlichen Währungs- und Münzreformen hinein nachvollziehen.
In jüngeren Umfragen hatte die Angst vor Flüchtlingen und Terror jene vor einem Wertverlust des Geldes überdeckt. Experten werteten das als Zeichen, dass die gute wirtschaftliche Situation und die seit Jahren stabil niedrige Teuerungsrate den inneren Kompass der Bundesbürger verstellt hätten. Doch die Nachfragezahlen zeigen, dass zwischen Umfragedaten und wahrem Handeln doch oft Welten liegen.
Die neue Goldliebe der Deutschen fällt jedoch in eine kritische Zeit. Gerade beginnen die Notenbanken damit, aus ihrer ultralockeren Geldpolitik auszusteigen. Höhere Zinsen sind jedoch tendenziell schädlich für den Goldpreis.
Und so raten viele Experten sogar, die Goldquote in den Depots etwas zu reduzieren. Doch der Exit der Notenbanken könnte letztlich auch dem Goldpreis helfen. Sollten die Währungshüter mit ihrem Ausstieg einen Crash auslösen, wäre Gold als Angst-Metall wieder überall gefragt.