Der neue Goldrausch an der Wall Street und im Kreml
Der Goldpreis ist in diesem Jahr um mehr als 16 Prozent gestiegen. Dabei spielen auch Sorgen um die Börse eine Rolle. Was steckt dahinter, fragt Christian Siedenbiedel von der FAZ.
An den Finanzmärkten nennen sie es „eine der bemerkenswertesten Entwicklungen in diesem Jahr“: Der Goldpreis ist seit Jahresanfang kräftig gestiegen, in dieser Woche hat es noch einmal einen zusätzlichen Schub gegeben. Am Donnerstag stieg der Goldpreis vormittags bis auf 1241 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm), rund 38 Dollar mehr als noch am Montag, bevor er wieder etwas nachgab. Und das, obwohl der Aktienmarkt sich gar nicht so schlecht entwickelte. Der deutsche Aktienindex Dax stieg bis zum Handelsschluss um 1,8 Prozent auf 9331 Punkte.
Die Ersten nehmen für das Gold schon das Wort vom „Bullenmarkt“ in den Mund, also einer Zeit anhaltend steigender Kurse. Simon Derrick, Chef-Marktstratege der Bank of New York Mellon, hat dazu ausgerechnet, wie sich der Goldpreis in diesem Jahr insgesamt gegenüber verschiedenen Währungen entwickelt hat, und hält das durchaus für bemerkenswert. Demnach ist der Preis in Dollar um 17,5 Prozent gestiegen, in Euro um 16 Prozent, gegenüber dem britischen Pfund um 24 Prozent und selbst gegenüber dem aufwertenden Yen um fast 9 Prozent.
Analysten überbieten sich mit optimistischen Prognosen
Schon überbieten sich die Analysten in den Banken mit optimistischen Prognosen, und auch so mancher Vermögensverwalter hat die Goldquote in seinen Portfolios aufgestockt. Vontobel etwa meldete unlängst, man habe die Gewichtung von Gold abermals um 2,5 Prozentpunkte auf jetzt 7,5 Prozent erhöht. Erst Ende Januar hatte der Vermögensverwalter die Quote um 2,5 Prozentpunkte auf 5 Prozent angehoben. Die kühnste Prognose für den Goldpreis äußerte aber die britische Bank HSBC, die einem Bericht zufolge nicht ausschließen wollte, dass der Goldpreis bald das Niveau aus dem Jahr 2011 erreichen könnte – das wäre dann wohl der höchste Goldpreis aller Zeiten.
Was steckt hinter der ungewöhnlichen Preisentwicklung? Zwei Phänomene sind besonders auffällig, wenn man sich die Zahlen der Änderungen der Goldbestände anguckt. Zum einen fließt viel Gold in sogenannte physisch replizierende börsengehandelte Indexfonds (ETF), also Wertpapiere, deren Fondsgesellschaften für die zufließenden Mittel Gold kaufen. Hier soll der Zufluss seit Jahresbeginn rund 200 Tonnen Gold betragen haben. Allein der größte Fonds dieser Art, der „SPDR Gold Shares“ von State Street Global Advisors, verzeichnete am Montag und vergangenen Freitag zusammen einen Zufluss von fast 39 Tonnen Gold: Das hatte es seit dem Jahr 2011, als der Goldpreis seinen Höchststand erreicht hatte, nicht mehr gegeben. Dieser Teil der Goldpreis-Bewegung ist also vor allem auf Investitionen in den Vereinigten Staaten zurückzuführen.
Zugleich gibt es aber auch in Russland offenbar ein verstärktes Interesse an Gold, auch von staatlicher Seite. Dort hat die Notenbank allein im Januar rund 20 Tonnen Gold gekauft, nachdem sie auch im vorigen Jahr bereits die Reserven aufgestockt hatte. Die Bestände der russischen Notenbank sollen mittlerweile mehr als 1300 Tonnen betragen. Und das, obwohl der Rubel schwach ist und Unterstützung durch den Verkauf von Reserven gebrauchen könnte. Wladimir Putin jedoch wolle durch den Aufbau eines größeren Goldvorrats Macht demonstrieren und die Abhängigkeit vom Dollar verringern, so heißt es. Und auch China, das seine Währungsreserven insgesamt stark verringert hat, soll im Januar in größerem Umfang Gold gekauft haben.
„Die Stimmung im Futures-Markt hat sich stark gebessert“
Den größten kurzfristigen Einfluss auf den Goldpreis haben jedoch die Spekulationen mit Wertpapieren auf Gold. „Auf den Goldfutures-Märkten passen die Händler derzeit ihre Positionierung an“, berichtet Carsten Menke vom Schweizer Bankhaus Julius Bär. Zum Jahreswechsel hätten sie noch im großen Stil auf weiter fallende Preise gewettet. Inzwischen seien viele dieser Wetten („Short-Positionen“) geschlossen worden, was dem Preis Auftrieb gegeben habe. Gleichzeitig seien viele Händler in den Markt gekommen, die auf steigende Preise wetteten, also „long“ gingen. „Die Stimmung im Futures-Markt hat sich seit dem Jahreswechsel stark gebessert“, berichtet Menke.
Zu diesem Gold-Stimmungswechsel scheinen verschiedene Faktoren beigetragen zu haben. Die schlechteren Weltwirtschaftsdaten und die (in den vergangenen Wochen zumindest zeitweise) fallenden Aktienkurse hätten Rezessionängste hervorgerufen, meint Giovanni Staunovo, Rohstoffexperte der Schweizer Großbank UBS. Angst vor einem Brexit, die manche Analysten auch erwähnen, hält er bislang für nicht ausschlaggebend. Eine wichtige Rolle hätten hingegen die Signale in Amerika gespielt, dass eine Zinserhöhung erst später komme, also die „Auspreisung einer Zinserhöhung“, wie Carsten Fritsch von der Commerzbank sagt. Wenn die Zinsen nicht wie erwartet steigen, wird die Anlage in das unverzinste Gold relativ attraktiver. Damit verbunden war ein schwächerer amerikanischer Dollar. Wenn der Dollarkurs sinkt, steigt der Goldpreis oft, weil für Goldanleger außerhalb des Dollarraumes Gold als Anlage attraktiver wird und die Nachfrage steigt.
Auch die Tatsache, dass die Notenbanken in Japan und Schweden negative Zinsen eingeführt hätten, habe Gold als Anlage attraktiver gemacht, heißt es bei der Commerzbank. Es nährte den Verdacht, dass weitere Notenbanken folgen.