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Russlands heimliche Jagd nach Gold

Still und leise kauft die russische Notenbank Edelmetall auf, in riesigen Mengen. Moskau besitzt inzwischen den fünftgrößten Goldschatz der Welt. Experten vermuten einen geheimen Plan.

Siebzig Tonnen Gold. Das Gewicht von fünf mittelschweren Lkw. So viel Edelmetall hat die russische Notenbank seit Jahresanfang zusammengekauft. Was normalerweise nur eine Randnotiz der Wirtschaftsnachrichten wäre, lässt in einer Zeit zunehmender geopolitischer Spannungen aufhorchen. Keine andere Nation baut ihre Goldreserven so zielstrebig aus wie Russland.

Nicht wenige Beobachter vermuten dahinter einen geheimen Plan – zum Beispiel, um sich für einen möglichen Finanzkrieg mit dem Westen zu rüsten. Andere glauben sogar, das größte Land der Welt verfolge das Ziel, den amerikanischen Dollar als Leitwährung abzulösen. Tatsächlich gibt das Verhalten Moskaus Rätsel auf.

Im Gegensatz zu den etablierten Industriestaaten vergrößern die schnell wachsenden Schwellenländer ihre Edelmetallreserven seit Jahren. Den meisten Ländern geht es darum, ihre üppigen Währungsreserven zu diversifizieren: Nicht der ganze Staatsschatz soll aus Euro und Dollar bestehen, so die Strategie dahinter. Wie die Finanzkrise gezeigt hat, sind Euro und Dollar Währungen, die mit Problemen behaftet sind.

Doch im Falle Moskaus liegen die Dinge anders, wie ein Blick auf die Zahlen offenbart: Russland hat seine Goldreserven dieses Jahr massiv aufgestockt – und das, obwohl die Devisenbestände zurückgehen. Im Zuge der Ukraine-Krise fielen die Reserven zuletzt auf 423 Milliarden Dollar zurück. Das war der niedrigste Stand seit Frühjahr 2010.

Während die Euro- und Dollar-Reserven Russlands 2014 einen deutlichen Aderlass verkraften mussten, kauft Moskau bei dem gelben Metall zu. Allein in den zurückliegenden zwölf Monaten hat die russische Zentralbank ihren Edelmetall-Hort um zehn Prozent vergrößert.

Die meisten Geldmanager halten Moskaus Vorgehen für geschickt. Uneinig sind sie sich hingegen darüber, welche Pläne Russland verfolgt. Manche vermuten rein ökonomische Motive, andere sprechen von finanzieller Machtdemonstration und geopolitischem Kalkül.

"Russland verhält sich nur rational und will vor allem den Fehler der Chinesen vermeiden, in zunehmende finanzielle Abhängigkeit von amerikanischen Staatsanleihen zu geraten", sagt Marc-Oliver Lux, Vorstand bei Dr. Lux & Präuner in Grünwald bei München. Der Vermögensexperte spielt darauf an, dass die gigantischen Devisenreserven der Chinesen – von mittlerweile vier Billionen Dollar – zum größten Teil in US-Papieren angelegt sind. Verliert der Dollar an Wert, muss Peking mit dramatischen Buchverlusten rechnen, die auf die chinesische Volkswirtschaft zurückwirken würden.

Bundesbank reduziert als einzige ihre Goldreserven

"Angesichts des aktuellen Gelddruckwahns der etablierten Notenbanken ist die Ausweitung der Goldreserven sinnvoll", betont daher auch Winfried Walter, Portfoliomanager bei Schneider, Walter und Kollegen in Köln. In einem Umfeld niedriger Zinsen sei es vernünftig, einen Teil des Kapitals in Form von Edelmetall zu halten, das sich nicht künstlich vermehren lässt.

Der Grund: Im Niedrigzinsumfeld ist der Ertragsunterschied zu Zinspapieren gering. Zugleich bergen Anleihen unweigerlich ein Insolvenzrisiko, langfristig gilt das auch für manche Staatsanleihe. Für Regierungen ist Gold als weltweit akzeptierte Währung zugleich eine gute Absicherung gegen Devisenturbulenzen. "Gold gehört zum verantwortungsvollen Umgang einer Notenbank mit dem ihr anvertrauten Volksvermögen", formuliert Walter.

Auch die Bundesbank betont die Bedeutung der Goldreserven als Stabilitätsanker. Zugleich lagert das Gros des deutschen Edelmetalls nicht im Inland, sondern in London und New York. Aber die Bundesbank ist die einzige große Zentralbank, die ihre Goldbestände Jahr für Jahr reduziert, obschon jeweils nur um einige Tonnen.

Manche Beobachter vermuten hinter Moskaus Kurs der gezielten Aufstockung der Edelmetallreserven eine geopolitische Strategie. Demnach könnte es sich um Vorbereitungen für einen möglichen Finanzkrieg mit den Vereinigten Staaten und Europa handeln: "Sollte es im Ukraine-Konflikt zu einer weiteren Verschärfung der Situation oder sogar zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen, könnten Boykottmaßnahmen des Westens unter der Führung der USA den Zahlungsverkehr der Russen erheblich einschränken oder unterbinden", erklärt Alexander Daniels, Vorstand bei Knapp-Voith in Hamburg.

Russland will sich freischwimmen

Mit dem Gold bleibe Russland im Fall der Fälle liquide und könne damit dringend benötigte Güter bei befreundeten Staaten kaufen. "Goldreserven fungieren in einer Krise als international anerkannte Währung, die jederzeit gegen Devisen oder Lebensmittel eingetauscht werden kann", sagt Daniels.

Mitte August kündigte Russlands Präsident Wladimir Putin an, russische Öl- und Gasexporte künftig nicht mehr in Dollar abzurechnen, sondern in der Landeswährung Rubel. Die Vorherrschaft des Dollar bedrohe die russische Wirtschaft, sagte Putin.

Auch Lux erkennt vor diesem Hintergrund eine politische Stoßrichtung: Den Anreiz Moskaus, sich unter den jetzigen Vorzeichen mit Papieren auf Dollar- und Euro-Basis einzudecken, nennt er begrenzt. "Durch die westlichen Sanktionen hat Moskau keine Veranlassung, sein Geld in Finanzinstrumente der Westmächte zu investieren", sagt der Geldmanager. Russland versuche mit dem Gold, sich etwas vom europäischen und amerikanischen Einfluss freizuschwimmen.

Der Aufbau der russischen Goldreserven startete etwa zum Beginn der amerikanischen Immobilienkrise vor sieben Jahren und hat sich zuletzt deutlich beschleunigt. Inzwischen kann Moskau auf einen beachtlichen Hort blicken. Die Goldbestände des Riesenreiches, die im Jahr 2000 noch nicht der Rede wert waren, belaufen sich nunmehr auf 1104 Tonnen oder umgerechnet 35,5 Millionen Unzen. Damit ist Russland, das auch ein wichtiges Edelmetall-Förderland ist, der fünftgrößte nationale Goldhalter der Welt.

Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat Putins Reich in den vergangenen Monaten die einst goldreiche Schweiz und auch das boomende China hinter sich gelassen. Nur die USA, Deutschland, Italien und Frankreich verfügen nach IWF-Angaben über einen größeren Staatsschatz.

Erdrückende Macht des Dollar

Freilich sind auch die Reserven Moskaus beim aktuellen Marktpreis nur circa 34 Milliarden Euro wert. Damit sind nur rund zwei Prozent der russischen Wirtschaftsleistung abgedeckt. Zum Aufbau eines Super-Rubel, der eines Tages dem Dollar als Handels- und Reservewährung Konkurrenz machen könnte, ist das zu wenig. Amerika hat in Fort Knox und der New Yorker Fed mehr als 8100 Tonnen Gold mit einem Börsenwert von gut einer Viertelbillion Euro gebunkert.

Die Vormacht des Dollar ist erdrückend. Die US-Devise stellt über 60 Prozent der globalen Währungsreserven und ist an deutlich mehr als 80 Prozent aller Devisentransaktionen beteiligt. Außerdem ist der Kapitalmarkt der Vereinigten Staaten der mit Abstand größte der Welt. Alle Arten von Papieren werden dort gehandelt, während die russische Wirtschaft stark rohstofforientiert ist, mit Vor-, aber auch mit Nachteilen.

Die russischen Energieexporte haben es Moskau zwar ermöglicht, einen großen Devisenschatz anzuhäufen. Doch wie die letzten Monate gezeigt haben, kann der schnell aufgezehrt werden. "Vor allem die Diversifikation der russischen Wirtschaft lässt sehr zu wünschen übrig", sagt der renommierte Entwicklungsökonom Helmut Reisen. Auch wenn es unter Putin wirtschaftlich insgesamt besser laufe als unter dessen Vorgänger Jelzin, könne von einem transparenten Entwicklungsplan keine Rede sein.

Wirtschaftlich ist Moskau ein Zwerg

So sei anders als bei China oder auch Indien nicht zu erkennen, dass Russland die Wertschöpfungsleiter emporklettere. Trotz vieler gut ausgebildeter junger Menschen bestünden die Exporte weiter zum überwiegenden Teil aus Öl und Gas. Die sind aber kein echter Wohlstandsgarant. "Entwicklungsökonomisch ist das eine Sackgasse", sagt Reisen. Viele Experten beurteilen die langfristigen Aussichten des riesigen Landes, das überdies mit einer schnell alternden Bevölkerung zu kämpfen hat, ähnlich negativ.

Dazu muss bedacht werden, dass die russische Wirtschaft kaum größer ist als die italienische. Das Bruttoinlandsprodukt, also die Summe aller produzierten Güter und Dienstleistungen, beläuft sich nur auf ein Achtel des amerikanischen Wertes. "Die Macht des Dollar im globalen Welthandel zu brechen bleibt illusorisch", sagt Lux. Selbst den reichen arabischen Ölstaaten sei es nicht gelungen, die Handelswährung Dollar durch den Euro zu ersetzen. Alle Versuche in diese Richtung verliefen im Sande. So ist Moskaus goldene Waffe zumindest einstweilen eine mit begrenzter Schlagkraft.

Daniel Eckert ist Finanzredakteur der Zeitung "Die Welt". Darüber hinaus ist er Autor des Wirtschaftsbestsellers "Weltkrieg der Währungen" (2010).

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