Die Fluchtwährung Gold meldet sich zurück
Die Ruhe an den Börsen ist trügerisch. Das zeigt ein alter Angstindikator: der Goldpreis. Plötzlich schlägt er wieder aus. Hinter dem Anstieg steckt mehr, als es den Anschein hat.
An den Kapitalmärkten herrscht derzeit sommerliche Ruhe. Die Volatilität, der wichtigste Gradmesser für die Nervosität der Akteure, ist so niedrig wie in den Zeiten vor der Finanzkrise. Das gilt sowohl für die Aktien, als auch die Renten und die Devisenmärkte. Das Signal: Alles im Lot.
Doch selbst den Notenbanken ist nicht mehr ganz geheuer ob dieser trügerischen Ruhe. In den letzten Wochen schickten sie mehrfach Warnungen, die Investoren sollten nicht selbstzufrieden werden.
Zumindest manche Anleger scheinen dem Frieden tatsächlich nicht zu trauen. Sie beginnen Positionen am Gold-Markt aufzubauen. Das schlägt sich im Goldpreis nieder: Seit Anfang Juni hat sich das gelbe Metall, das als Fluchtwährung in Zeiten der Krise gilt, um fast 90 Dollar auf 1330 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) verteuert. Das ist ein Preisanstieg um rund sechs Prozent.
Verglichen mit Januar steht Gold sogar elf Prozent höher, und das obwohl sich das Gros der Banken zu Beginn des Jahres pessimistisch über die Aussichten des gelben Metalls geäußert hat.
Irak-Krise treibt Anleger ins Edelmetall
Das wiedererwachte Interesse an Gold hat mit der brenzligen Lage im Irak und in der Ukraine zu tun. Aber auch das Handeln der Geldpolitiker hat einen Einfluss. So ließ die Aussage der US-Notenbank, die Zinsen auf absehbare Zeit auf dem aktuellen Niveau nahe null zu belassen, den Unzenpreis nach oben springen.
"Gold hat den ersten Impuls durch Russland erhalten und dann kam der Irak hinzu", zitiert die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg den Rohstoffhändler Phil Streible von R.J. O'Brien & Associates in Chicago. "Zudem sorgt der zurückhaltende Ausblick der US-Notenbank für wachsendes Interesse an Gold, so dass einige Investoren sich ihm wieder zugewandt haben."
Gold gehört damit zu den besten Investments des Jahres 2014, es hat die meisten Rohstoffe, Aktien und Anleihen hinter sich gelassen. Und der Anstieg könnte noch weitergehen. "Gold ist derzeit immer noch eine ungeliebte Anlageklasse und eignet sich aufs Trefflichste als antizyklisches Investment", lobt Ronald Stöferle, Vermögensverwalter bei der Firma Incrementum Liechtenstein.
Kursziel für Gold bei über 2000 Dollar
Auf Sicht von zwölf Monaten sieht der renommierte Edelmetall-Experte den Kurs auf 1500 Dollar klettern. In etwas fernerer Zukunft sind aus seiner Sicht ganz andere Kursregionen wahrscheinlich.
Die ungelösten Probleme des Kredit- und Finanzsystems würden dazu führen, dass der Kurs des gelben Metalls den alten steilen Aufwärtstrend wieder aufnimmt, der 2013 unterbrochen wurde. Noch in diesem Jahrzehnt seien dann neue Rekordstände bei 2300 Dollar wahrscheinlich.
Stöferle gilt als einer der besten Gold-Kenner und ist in der Investmentszene für seinen mehr als 100 Seiten dicken Edelmetall-Report bekannt, dessen Neuauflage von seinen Fans immer sehnsüchtig erwartet wird.
In dem "In Gold we trust" (Wir glauben an Gold) überschriebenen Wälzer führt der Österreicher Dutzende Grafiken und Statistiken an, die seiner Ansicht nach belegen, dass das globale Finanzsystem einen nicht nachhaltigen Weg eingeschlagen hat und vor einem großen Umbruch steht.
Aufgeblähte Notenbankbilanzen untergraben Stabilität
Der Experte glaubt schlagende Argumente zu haben: So habe die amerikanische Notenbank ihre Bilanzsummen seit 2002 Jahr für Jahr um 17 Prozent ausgeweitet. Die Bank of England habe ihre Bilanz sogar um 21 Prozent jährlich aufgebläht. Ähnlich sehe es bei der Schweizerischen Nationalbank und der Europäischen Zentralbank aus, und auch China mische mit bei der ultraexpansiven Geldpolitik.
Im gleichen Zeitraum ist die Goldförderung nur um 1,5 Prozent jährlich ausgeweitet worden. Während die aufgeblähten Bilanzsummen der Notenbanken für das Potenzial künftiger Geldentwertung stehen, kann das Edelmetall Anlegern als Wertanker dienen.
Während alle Welt über Deflation (also die Gefahr dauerhaft fallender Löhne und Preise) redet), ist für Stöferle die Inflation schon längst da. Aus Sicht der österreichischen Schule der Nationalökonomie bedeutet jede Ausweitung der Geldmenge Inflation.
Auch von der Nachfrage-Seite kommen Impulse für den steigenden Goldpreis: Von der neuen indischen Regierung erwarten die Märkte eine Senkung der im vergangenen Jahr erhöhten Zölle auf Goldimporte: "Die strengen Restriktionen haben dazu geführt, dass China Indien als größten Goldimporteur abgelöst hat. Eine Lockerung der Zölle könnte pünktlich zum zweiten Halbjahr die Goldnachfrage in Indien wieder ankurbeln", sagt Martin Siegel, Manager bei Stabilitas.
Gold-Nachfrage aus den Industrieländern explodiert
Aber auch in den Industrieländern greifen die Anleger wieder zu. Die Bestände aller börsennotierten Goldfonds (Gold-ETF) sind zuletzt so stark gestiegen wie seit November 2011 nicht mehr, wie aus Berechnungen der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg hervorgeht. In den vergangenen beiden Tagen ist das Volumen des in den ETFs verwalteten Edelmetalls um 425.000 auf 55,6 Millionen Unzen gestiegen.
"Die verstärkten Gold-Käufe künden vom zunehmenden Misstrauen der Investoren in die Fähigkeiten der Zentralbanker", sagt Pieter Cleppe von der eurokritischen Denkfabrik Open Europe.
Interessanterweise hatte zuletzt auch die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) die Anleger vor einer trügerischen Sicherheit gewarnt. Die Liquidität sämtlicher Notenbanken habe offensichtlich die Risikowahrnehmung der Investoren betäubt.
Die BIZ empfiehlt den Notenbankern, die üppige Geldversorgung zurückzuführen. Die Warnung wiegt umso schwerer, als es sich bei der BIZ um die oberste Notenbank der Notenbanken handelt, die sozusagen das Verhalten ihrer Mitglieder kritisiert.
Oberste Notenbank mit ungewohnten Wahrheiten
"Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich darf die Bedenken artikulieren, die auch viele Zentralbanken tragen, die sie aber nicht aussprechen dürfen", sagt Sébastien Galy, Anlagestratege bei Société Générale.
In den beiden Sitzungen am Montag und Dienstag verzeichnete allein der größte Goldfonds, der SPDR Gold Trust, einen Zuwachs von 1,4 Prozent auf 796,39 Tonnen. Im vergangenen Jahr hatte der Fonds noch Verkäufe von 550 Tonnen hinnehmen müssen. Mit einem Minus von 28 Prozent war 2013 das schlechteste Jahr für Gold seit drei Jahrzehnten gewesen.
Die Zuflüsse können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bestände seit Dezember noch immer 0,2 Prozent zurückgegangen sind und im vergangenen Monat das niedrigste Niveau seit Dezember 2008 erreicht haben. Aus Daten von Bloomberg geht hervor, dass Anleger bis zum 30. Juni 319 Millionen Dollar aus mit dem Edelmetall unterlegten börsengehandelten Fonds abgezogen haben. Im Vergleich dazu lagen die Zuflüsse bei Aktienfonds bei 44,1 Milliarden Dollar in den ersten sechs Monaten.
Die Analysten der UBS werten die Entwicklung unterdessen als Signal einer Stabilisierung. "Obwohl der Kontext angesichts von anhaltenden Verringerungen der US-Anleihekäufe, drohenden Zinserhöhungen und Aktien auf Rekordniveau ungünstig für Gold bleibt, haben die Preise sich als insgesamt widerstandsfähig erwiesen", haben die Experten der UBS AG in einer Studie vom Vortag geschrieben. "Dass eine Neuauflage der massiven ETF-Verkäufe aus 2013 ausgeblieben ist, hat für eine gewisse Unterstützung gesorgt."