Das Gold kriegt die Krise
Der Goldpreis stürzt ab. Obwohl die Euro-Krise noch lange nicht zu Ende ist. Zeit zum Einsteigen? Von Nadine Oberhuber von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Wenn man bei einem Patienten Fieber misst und das Thermometer zeigt nur 37 Grad, dann ist entweder das Thermometer kaputt, oder der Patient ist ziemlich gesund. So ähnlich könnte man es auch im Falle des Goldpreises sehen. Denn der gilt schließlich als so etwas wie das Fieberthermometer der Weltfinanzmärkte. Immer, wenn sich beim Patienten Weltwirtschaft ein schwerer Infekt bemerkbar macht, steigt der Goldkurs. Weil sich viele Käufer mit Gold eindecken, um ihr Vermögen gegen Verwerfungen am Finanzmarkt abzusichern.
Darum trauten auch viele Marktbeobachter ihren Augen nicht bei dem, was in der vergangenen Woche passierte: Der Goldpreis schlug heftig aus - aber nach unten, nicht nach oben. Während halb Europa mit den Griechen rang, um Parlamentszustimmung, Reformen, neue Milliarden und die Frage, ob alle Eurostaaten im gemeinsamen Währungsraum bleiben - während in Europa also weiter Krise herrschte, stürzte der Goldpreis ab. Am vorvergangenen Montag kollabierte er regelrecht. Edelmetallexperten sprachen gar von einem Flashcrash, als er binnen Minuten von knapp 1150 auf 1088 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) einbrach. Damit hat das Gold nun ein Fünfjahrestief erreicht. Die glänzenden Zeiten, in denen der Preis bei 1900 Dollar lag, wie zum Höhepunkt der europäischen Finanz- und Schuldenkrise 2011, scheinen endgültig vorbei. Doch was heißt nun der große Absturz des Krisenindikators Gold?
Bedeutet er, dass nun auch die Krise ausgestanden ist und die Anleger nach den Verhandlungen darauf vertrauen, dass nicht nur Griechenland genesen wird, sondern auch alle anderen Schuldenstaaten im Währungsraum? Oder ist das Thermometer kaputt und der Goldpreis spielt verrückt? Schließlich warnen einige Marktbeobachter schon seit langem, die Aussagekraft des Goldpreises sei mit Vorsicht zu genießen, weil der Markt zu sehr von Spekulanten getrieben sei. Es habe sich eine Blase gebildet, und aus ihr entweiche nun die Luft. Welche von beiden Erklärungen stimmt also?
Keine hundertprozentig. Schaut man sich den Goldhandelsmarkt kleinräumiger an, dann sieht man, dass die Nachfrage nach Gold gerade in Europa noch immer enorm ist. Insbesondere in Deutschland freuen sich Edelmetallhändler über steigenden Absatz von Barren und Münzen. Der Degussa-Goldhandel verzeichnete in den ersten Monaten dieses Jahres „30 bis 50 Prozent mehr Absatz als im Vorjahreszeitraum“ und stellt fest, dass seit den dramatischen Verhandlungen zwischen der EU und Griechenland die Verkäufe noch mal um 30 bis 50 Prozent angezogen hätten. Das sei ganz gewiss ein Beleg dafür, dass den Anlegern die schwelende Euro-Krise Sorgen bereite und sie in der Krisenwährung Gold Zuflucht suchten. Allerdings mögen die Händler derzeit auch nicht von übertriebenen Reaktionen sprechen, schon gar nicht von Panik. Die Zukäufe seien von langer Hand geplant, und viele nutzten jetzt die niedrigen Kurse dafür.
Beruhigungsmittel fürs Depot
In Europa ist also Krise, und der Goldabsatz steigt. Nur beeindruckt das den Goldpreis wenig. Der wird nämlich viel stärker von dem getrieben, was am anderen Ende der Welt passiert, in China. Massenhaft viel Gold kam am Montag auf einen Schlag in Schanghai auf den Markt. Insgesamt 33 Tonnen Gold, mehr als dreimal so viel wie alle Minen der Welt an einem Tag fördern. Das prügelte den Kurs in den Keller. Warum die Chinesen so plötzlich ihr Gold verkaufen? Marktexperten erklären das mit dem Aktiencrash: In den vergangenen Wochen fielen auch die Aktienkurse in China, erst vor wenigen Tagen kamen sie wieder einigermaßen zur Ruhe. Nun spekulierten aber viele Anleger in der Volksrepublik auf Pump. Und weil die Aktien enorm an Werthaltigkeit verloren, mussten sie andere Vermögenswerte nachschießen, um ihre Kreditgeber zu besänftigen. Dafür verkauften viele ihr Gold. Es gibt einen Punkt in dieser Begründung, der einen aufhorchen und zweifeln lässt, ob es tatsächlich so war: Denn Untersuchungen von der China Southwestern University zeigen, dass es zwar etliche Millionen Trader waren, die zuletzt auf Pump spekulierten, jedoch vorwiegend sehr junge und unerfahrene Privatleute mit unterdurchschnittlicher Bildung. Genau sie veranlassten Chinas Regierung auch dazu, hart in die Märkte einzugreifen und der Zockerei ein Ende zu bereiten. Hatten diese Börsenneulinge nun tatsächlich alle kiloweise Gold im Depot? Möglicherweise haben sich aber auch Großinvestoren mit Krediten überhoben.
Fast gleichzeitig jedenfalls zu den 33 Tonnen aus China wurden kurz nach Handelseröffnung auch in New York weitere 24 Tonnen Gold an der Warenterminbörse verkauft. Das war der zweite große Schlag für den Goldpreis und veranlasst den Ökonomen und Unternehmensberater Daniel Stelter zu der Vermutung, dass hier keine Verkäufer am Werk waren, denen es darum ging, einen möglichst guten Preis für ihre Bestände zu erzielen. Da zudem nicht physisches Gold gehandelt wurde, sondern „nur“ Goldpapiere, etwa Indexfonds oder Optionen, kann man davon ausgehen, dass hier professionelle Spekulanten am Werk waren. Sie bewegen den Goldmarkt ja außergewöhnlich stark, sagen Marktexperten wie Dirk Baur, Professor an der Kühne Logistics Universität. Kaum ein anderer Markt sei so stark von professionellen Investoren getrieben wie dieser. Das mache ihn anfällig für Preisübertreibungen. Vermutlich wollten die Profis den Kurs sogar durch den schlagartigen Abverkauf drücken, weil sie gleichzeitig auf fallende Kurse gesetzt hatten und so später eigene offene Kontrakte zu günstigeren Kursen schließen konnten. Aber auch das ist Spekulation.
Momentan jedenfalls ist die Stimmung beim Gold alles andere als positiv. Viele Großinvestoren haben auf weiter sinkende Kurse gesetzt. Selbst Chefs großer Goldproduzenten sprechen jetzt das Wort „Blase“ aus. Für den Chefvolkswirt der Citibank, Willem Buiter, steckt das Gold ja bekanntlich gar „seit 6000 Jahren in einer Blase“, da sein intrinsischer Wert nahe bei null läge und die Weltwirtschaft seit Jahrtausenden nichts anderes mache, als sich auf einen fiktiven Wert zu verständigen.
Derzeit können sich alle noch auf einen Wert um 1100 Dollar einigen. Bald werden es vielleicht nur noch 1000 oder sogar 750 Dollar sein, Letzteres hält die Deutsche Bank für angemessen. Goldhändler mahnen hingegen, dass allein die Herstellungskosten der börsennotierten Minen im Durchschnitt bei rund 1300 Dollar je Unze liege und der Preis deshalb wieder steigen müsse. Aber vielleicht bleibt er ja so tief, und ein paar Minen verschwinden folglich von der Bildfläche? Möglich ist vieles, und eines ist sicher: Ein Großteil des Goldpreises wird allein diktiert von der Psychologie. Deshalb raten manche Finanzexperten: Wer sich schon immer Gold als Beruhigungsmittel ins Depot legen wollte, der sollte noch ein wenig abwarten und dennoch über einen Kauf nachdenken.
Im folgenden Artikel finden Sie weitere informationen über die Einflussfaktoren auf den Goldpreis.